Ich will mehr!: Hoyerswerda, Léon-Foucault-Gymnasium 27. + 28.06.2018

Unser 1. „Ich will mehr!“-Workshop „Frei, weltoffen und demokratisch” fand am Léon-Foucault-Gymnasium Hoyerswerda im Rahmen der Projekttage gegen Gewalt und Rassismus, organisiert vom „Schule ohne Rasissmus – Schule für Courage”-Team statt.

Gemeinsam mit unseren Teilnehmer*innen erstellten wir Comics und Filme.

Medium: Comic, Cartoon, Karikatur, Illustration, Daumenkino und Film

Teilnehmer*innen: ca. 25 Jugendliche

Web Léon-Foucault-Gymnasium: www.foucaultgymnasium.de

Sandra hat zu unserem Workshop-Ablauf und unseren Tagen in Hoyerswerda einen Tagebuch-Eintrag verfasst, den ihr hier nachlesen könnt:

Tagebuch von Sandra

1.

Aufstehen für Werte!

Menschlichkeit in den Fokus unseres Handelns rücken.

Widerstand leisten und nach einer Welt ohne gruppenverachtender Menschenfeindlichkeit streben.

2.

Wir müssen lauter und deutlicher sein als die Menschenfeinde, Rassisten und Rechtspopulisten, die Hass säen, der Demokratie schaden und unser aller Leben vergiften.
Genau dieser Typus Mensch hat es mit dessen Hetze einfach, weil es eben simpler zu sein scheint, Hass zu verbreiten als Liebe, und sie werden gehört, wie gerade in der ganzen Welt erlebbar ist.

„Liebe verbreiten” als Credo für das Einstehen für und den Kampf um Menschlichkeit klingt irgendwie jedoch einfach abgedroschen und ausgelutscht, wobei es das nicht ist.
Und für unser Empfinden haben Begriffe, Slogans und Aufrufe wie u. a. „Die Geschichte wiederholt sich”, „Widerstand leisten”, „Aufstehen für die Demokratie” usw. bedauerlicherweise ein wenig an Bedeutungskraft verloren, weil man diese zu oft gehört hat.
Damit möchten wir keinesfalls sagen, dass man diese nicht oft genug wiederholen und die Bedeutung dahinter in die Welt tragen soll.

Unseres Erachtens jedoch brauchen wir im digitalen, technisch fortschrittlichen 2018 evtl. schlichtweg neue Worte und Wortbedeutungen, die eben nicht wie schon tausendfach gehört daherkommen und deshalb nicht mehr wirklich bewusst wahrgenommen werden.
Wir brauchen insbesondere eine Sprache, die bei unserer Jugend und all denjenigen, die ihren Glauben an und ihr Vertrauen in die demokratischen freiheitlichen Grundwerte verloren haben, Gehör finden.

Wir haben dafür natürlich kein Patenrezept auf Tasche.
Evtl. kann es jedoch sein, dass es ein Lösungsansatz ist, wenn sich jeder mal genau darüber Gedanken macht.
Und man zusätzlich einen aktiven praktischen Workshop genau dazu durchführt: „Lasst uns Leit- und Schlagworte finden, die laut sind und Gehör finden.” … um unsere eigene Freiheit zu schützen und die Demokratie wieder zu stärken.

Wofür?
Um sich ohne fremdbestimmten Zwang entscheiden zu können.
Um der Angst und der Wut den Nährstoff zu entziehen.
Um frei leben zu können.

3.

Angst wird geschürt.
Und der Urinstinkt jedes Menschen ist, sicher zu sein.
Und nach dieser Sicherheit strebt er und dafür tut er sehr viel.

Geht es derzeit sogar soweit, dass sich die Menschen verbieten, eigene Gedanken zu hegen und frei zu denken?

„Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken, noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.“
(Ingmar Bergman)

„Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.”
(Ralph Waldo Emerson)

Mit Wissen und Bildung können wir der Angst etwas entgegenhalten.

4.

Wir stellen uns seit Langem die Frage, an was es liegen kann, dass sich Rechtspopulismus, Diskriminierung und Menschenverachtung – leider so schrecklich wirkungsvoll – in unserer Gesellschaft verzahnt und „auf fruchtbaren Boden”! fällt.

Woran liegt es?
Stehen Macht- und Geldgier im Vordergrund und verdrängen Bildung und die soziale Politik?
Fehlen Bildungs- und gute Freizeitangebote?
Werden die einzelnen Menschen zu wenig in demokratische Prozesse eingebunden?
Vermitteln Radio und Fernsehen mitunter die falschen Werte oder einfach gar keine?
Sind wir durch Konsum und Überfütterung faul im eigenen Denken geworden?
Verändern die schnelle fortschreitende technische und digitale Entwicklung unser Leben so, dass …
Hat die fehlende Entnazifizierung und die fehlende Aufarbeitung der DDR inkl. dem Abholen der aus der Friedlichen Revolution Abgehängten einen so gravierenden Einfluss?

Unter anderem, um auf genau diese Fragen Antworten zu bekommen und weil wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren kleinen Beitrag zur Demokratie-Sensibilisierung leisten wollen, besser gesagt: müssen, es unser inneres Bedürfnis ist, die Angst zu überwinden, und in Vorbereitung auf die Landtagswahl 2019 in Sachsen führen wir gemeinsam in Initiative mit dem Wechselzeiten e. V. aktive praktische Demokratie-Medien-Workshops u. a. in genau den 12 Städten im Freistaat Sachsen durch, in denen Flüchtlingsheime brannten und Nazis und Rechtspopulisten Menschenjagden veranstalteten.

5.

Und wie führt man solche Workshops durch?
Genau wie alle anderen unserer Bildungsangebote und Weiterbildungen auch.
Jedenfalls ziehen wir das Resümee aus unserem 1. Workshop in dieser 12-er-Workshop-Reihe.

Authentisch sein. Respektvoll und auf Augenhöhe mit unseren Teilnehmer*innen umgehen. Das ist schon erst mal eine der Grundvoraussetzungen für ein kreatives Arbeiten und vertrauensvolles miteinander leben.

Zum Einstieg unsere Trickfilme zeigen und dann sofort in unsere Workshop-Arbeit einsteigen, die zum Inhalt hat, dass unsere Schüler*innen und Jugendlichen eigene Bildergeschichten, Fotocollagen oder Filme mit eigens selbst gewählten Themen unter der Headline „Frei, weltoffen und demokratisch” erstellen.

Unser Workshop-Titel ist dadurch entstanden, weil wir im August 2017 beim Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz” des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, Geschäftsbereich Gleichstellung und Integration unseren Förderantrag gestellt haben, der glücklicherweise positiv beschieden wurde.

Das Programm hatte genau das zum Inhalt, was wir machen wollten:

Sich aktiv praktisch und mit eigenen Ideen unter dem Aspekt „Was hat das alles mit mir und meinem eigenen Leben zu tun” mit Themen auseinanderzusetzen und gleichzeitig Lösungsansätze zu finden/aufzeigen, wie:
– Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, politisch und religiös motivierter Extremismus, Rassismus und Antisemitismus, in unserer Gesellschaft abbauen helfen,
– demokratische Werte stärken und demokratische Handlungskompetenzen fördern,
– Toleranz und Akzeptanz unterschiedlicher religiöser, kultureller, ethnischer Zugehörigkeiten und sexueller Orientierungen und Identität fördern und stärken,
– zum interkulturellen und interreligiösen Austausch beitragen,
– zu einem lokal oder regional vernetzten Gemeinwesen unter Beteiligung maßgeblicher staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen sowie relevanter Akteure beitragen oder
– durch beratende und wissenschaftliche Begleitung von Projekten eine nachhaltige Entwicklung innovativer Handlungskonzepte initiieren

6.

Unser 1. derartiger Workshop in Hoyerswerda liegt jetzt ein paar Tage hinter uns.

Es wäre gelogen zu behaupten, dass wir davor nicht doch ein wenig mit gemischten Gefühlen in die drittgrößte Stadt der Oberlausitz gefahren sind.
Und uns natürlich insofern darauf vorbereitet haben, dass wir einfach mal gegoogelt haben, was uns in Hoyerswerda erwartet … über unser „Standard”-Wissen hinaus, dass 1991 die Flüchtlingsheime lichterloh brannten, die kriegsähnlichen angsteinflößenden Ausschreitungen mehrere rassistisch motivierte Übergriffe waren und den Auftakt zu einer Serie ausländerfeindlicher, rassistischer Ausschreitungen zu Anfang der 1990er Jahre in Deutschland bildeten sowie weiterhin Plattenbau, Braunkohle und hohe Arbeitslosigkeit nach Schließung nach der Wiedervereinigung, Angst, Wut und Frustration der Bürger*innen ohne Perspektive …

Was wir via Google recherchierten konnten:
Hoyerswerda – Wir lieben Ideen
Claim: Grenzenlos glücklich sein
Überall sorbische Übersetzungen unter den deutschen Begriffen
Grüne ländliche Umgebung
Bürgerzentrum, Lausitzbad, Kino Cine Motion mit Senioren-/Frauen-/Männerabenden und SchulKinoWochen, Shopping Center, Schloss und Museum, Zoo, Kulturfabrik, Jugendclubhaus OSSI …
Initiativen: Hoyerswerda hilf mit Herz, RAA Opferberatung und ein Gymnasium, das den Titel „Schule ohne Rassismus, Schule für Courage” mit Markus Kafka als Pate verliehen bekommen hat

Das Léon-Foucault-Gymnasium, das vor den Sommerferien Projekttage gegen Gewalt und Rassismus durchführte, dessen Teil wir mit unserem 2-Tages-Workshop sein durften.

Und wie war es?

Wir wurden mit offenen Armen empfangen, sind mit guten Workshop-Ergebnissen wieder zurück nach Leipzig gefahren und sehen Hoyerswerda jetzt mit anderen Augen.

Die Schule setzt auf Wertevermittlung, Zukunftsperspektive, führt neben dem Lehrplan viele Projekte durch, arbeitet offen und kreativ, setzt sich für Toleranz, Weltoffenheit und Miteinander ein. Vermittelt Bildung in einer sehr guten aufgeschlossenen freundlichen Atmosphäre. Die nachhaltige Förderung ihrer Schüler*innen auf dem mathematisch-naturwissenschaftlichen, dem künstlerischen sowie dem musischen und dem sportlichen Bereich steht im Mittelpunkt.

Man hat das Gefühl, dass die Schüler*innen gern zur Schule gehen, wissensdurstig sind, lernen wollen, begeisterungsfähig sind und eigenständig inhaltlich denken und arbeiten.
Wow! Das ist ein wirklich wundervoller Bildungsansatz.

Wir durften einer Einladung zum Direktor folgen ;-), die ein über 1-stündges sehr intensives gutes offenherziges Gespräch mit dem Schulleiter, 2 Lehrer*innen und einer Mitarbeiterin der Initiative „Hoyerswerda hilf mit Herz” und der RRA (Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven) beinhaltete.
Und am 2. Tag folgte – neben unserem Workshop – ein Treffen mit dem Netzwerk für Demokratie und Courage.

In unserer Workshop-Freizeit recherchierten wir weiter, um uns vor Ort unsere eigene Meinung bilden zu können.

Das Deutschland-WM-Vorrunden-Aus schauten wir uns im örtlichen Stadion an.
Bratwurst, Bier, bemalte Deutschlandfahnen-Gesichter … das altbekannte normale Stadion-Feeling eben, ganz klassisch.

Als Veganer blieb für uns dann logischerweise Wasser und Fassbrause übrig.
Und ansonsten ist Hoyerswerda auch kein Schlemmerland für Veganer: trockene Salate und Nudeln mit Ketchup … und noch keine wirkliche Offenherzigkeit für die andersartigen sich ohne tierischen Produkte Ernährenden. „Ja, logisch ist hier überall Butter dran.”
Sollte man sich mal Gedanken darüber machen, wie geöffnet, antidiskriminierend und tolerant eine Stadt/eine Gesellschaft anhand dem Umgang mit Veganismus ist? Ist das ein Barometer für irgendetwas?
Das ist sicherlich nur für Veganer interessant.
Und das Thema wollen wir hier ebenso wenig vertiefen wie den Musikgeschmack der Bürger*innen und das Thema Rollenbilder, der Status der Frau, den alltäglichen Sexismus, Feminismus …

Und weil wir gerade beim Thema Offenherzigkeit und Offenheit sind, dürfen wir natürlich nicht unerwähnt lassen, dass bei all den oben aufgeführten positiven Aspekten – neben der Vegan-Intoleranz – uns auch mit auf den Weg gegeben wurde, dass die Gesellschaft in Hoyerswerda gespalten ist.

Bei aktiver breiter Initiative bspw. für die Integration herrscht in Teilen der Bevölkerung Rassismus vor, Frustration, Wut, Hass, Intoleranz, Angst …
Rechtspopulisten werden gewählt und erhalten beängstigende Wahlergebnisse. Sie werden gehört und können ihren Hass und ihre Unmenschlichkeit verbreiten.
Man liest in den Medien Zeilen wie: „1991 als Polizist im Einsatz, heute Ortsgruppenchef der AfD”

7.

Und:
Sind wir unserem Workshop-Ziel zur Demokratie-Sensibilisierung näher gekommen?

Die Antwort ist: Ja.

Was war unser Ansatz, Demokratie-Workshops im Freistaat Sachsen außerhalb von Leipzig, Dresden und Chemnitz durchzuführen?

Wir haben – wie oben bereits erwähnt – ein inneres Bedürfnis, weil wir es als unsere Aufgabe verstehen, für unsere eigene und unser aller Freiheit aktiv zu sein.
Wir wollten 2016 aus unserem inneren Leiden und Druck heraus, unseren Beitrag leisten, dass wir mit unseren wenigen kleinen bedürftigen Mitteln (der sog. Tropfen auf dem heißen Stein), der Menschenverachtung entgegenstehen und dem Einstehen für die Menschlichkeit aktiv etwas anzubieten haben. Wir möchten gemeinsam mit unseren Teilnehmer*innen und Unterstützer*innen Lösungsansätze finden und erarbeiten.
Dass das alles nur mühsam ernährend wie bei den Eichhörnchen geht, ist uns dabei bewusst.
Dennoch glauben wir daran, dass sich im Kleinen das Große Ganze ändert.
Und wir wissen, dass unser Beitrag notwendig ist.
Und bei all dem bekommen wir auch ganz viel zurück.

Man muss akzeptieren – den Gedanken loslassen –, dass man manche Menschen in ihrer festgefahrenen Meinung, aufgrund ihrer Erziehung und ihrem Aufwachsen/ihrer Umwelt (ihrer fest einprogrammierten Wesens-Lebens-Festplatte) nicht mehr beeinflussen kann und hoffen sollte, dass sie für Freiheits-Toleranz-Gedanken offen sind.

Jedoch haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir unsere Arbeiten und unser Engagement dort verfestigen können, wo es schon existiert. Das stärkt. Und es wirkt auf das Umfeld und strahlt nach außen.

Manchmal muss man einfach dem einen etwas erzählen, damit es der andere, der neben ihm steht, hört … ohne dass dieser merkt, dass die Worte für ihn bestimmt waren.
Auch ein Credo unserer Workshops.

Die Arbeit mit Jugendlichen ist uns dabei besonders wichtig.
Sie kann man für neue Ideen begeistern, ihnen neue Möglichkeiten und einen anderen Lebensweg aufzeigen.
Sie sind offen für die eigene Wahl und Entscheidung.

Und unser Workshop am León-Foucault-Gymnasium ist wirklich fantastisch verlaufen:
Aktiv, kreativ, produktiv mit grandiosen Ergebnissen und Schüler*innen, selbst denken und ihre eigenen Ideen umgesetzt haben.

In unserer ersten Stunde waren wir – nach unserem „Leipzig von oben”-Film-Screening – gleich bei der Ideenfindung und folgende Begriffe warfen uns unsere jugendlichen Teilnehmer*innen entgegen:
Rassismus, Toleranz, Gewalt, Ahnungslosigkeit, Ohnmacht, Respekt, Offenheit, Freiheit, Verständnis, Akzeptanz, Fairness, Courage und Gleichberechtigung

In der 2. Stunde erstellten sie eigenständig jeweils Mindmaps, nachdem sie sich gleich auch schon zu Teams zusammengefunden hatten.

Am 2. Tag ging es fließend weiter.
1- und 2-seitige Comics, ein Daumenkino und ein Anima-DOK entstanden … zu Themen wie Mobbing mit Hinweis auf Opferberatungen, Rassismus, Diskriminierung, Ausgrenzung, Freiheit, häusliche Gewalt in der Familie.

Wir danken allen unseren Workshopper*innen, der Schule und allen unseren Unterstützer*innen.