„GEVATTER“-INTERVIEW MIT SCHWARWEL
TEIL 1
gev: Du zeichnest und produzierst Animationsfilme, zeichnest jeden Tag zwei tagespolitische Karikaturen, dazu regelmäßig Illustrationen und Comic-Strips, doch das Erstellen einer eigenen Graphic Novel liegt mit dem zweiten SEELENFRESSER-Album „Glaube“ von 2012 schon ein paar Jahre zurück …
Wie kam es dazu, dass du jetzt mit „Gevatter“ gerade wieder an einer neuen Graphic Novel sitzt?
Graphic Novels sind leider richtig harte Arbeit, die niemand einfach mal nur so nebenbei abliefern kann. Die bisherigen zwei SEELENFRESSER-Alben zu produzieren, war schon ein ziemlicher Kraftakt, da ich diese tatsächlich immer irgendwie zwischen Tür und Angel geschrieben und gezeichnet habe. Trotz ideeller und auch finanzieller Unterstützung stecke ich da momentan im dritten der auf vier Alben angelegten Serie fest, da schon allein die Überwachung der Continuity – also bspw. wer hat wann welche Klamotten an – bei so einem seitenstarken Projekt zum Haareraufen sein kann, wenn man keinen Freiraum hat, um sich voll darauf zu konzentrieren.
Da wir mit Glücklicher Montag seit 2012 unglaublich viele andere, ebenso aufwändige Projekte umgesetzt haben, fiel SEELENFRESSER leider immer hinten runter und kam in die Warteschleife.
Umso mehr freut es mich, dass wir „Gevatter“ als Projekt der FUNUS Stiftung im ganz normalen Studioalltag integrieren konnten und ich beim Schreiben oder Zeichnen nicht ständig darüber nachdenken muss, welche Deadlines anderer Projekte ich gerade gefährde, weil ich mir die Zeit abknapse, um ein paar Panels zu gestalten. Das fühlt sich jetzt sehr gut und richtig an.
gev: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der FUNUS Stiftung?
Die FUNUS Stiftung kennen wir als Glücklicher Montag und ich schon seit ein paar Jahren. Hervorgegangen ist die Stiftung vor allem aus dem Wunsch ihres Vorsitzenden Frank Pasic – der zwei ganzheitliche Feuerbestattungseinrichtungen leitet – die Bestattungs- und Endlichkeitskultur mit ihren Themen Tod, Trauer, Verlust und Aufarbeitung in Deutschland von gesellschaftlichen Tabus zu lösen und die Beschäftigung mit der Vergänglichkeit wieder ins Zentrum unseres gemeinsamen Lebens zu rücken, wo sie m. E. ja auch hingehört.
Um das zu erreichen, veranstaltet die FUNUS Stiftung jährliche Symposien und gibt u. a. auch das Magazin „Drunter+Drüber“ heraus, für das ich auch ein paar Sachen gemacht habe.
Der Zufall wollte es, dass wir meinen Vater in einer dieser Feuerbestattungseinrichtungen einäschern ließen, noch bevor ich Frank kannte. Dadurch habe ich einen ungetrübten Eindruck davon bekommen, wie dieser aufmerksame Umgang mit der Endlichkeitskultur in der Praxis aussieht, was mich davon überzeugt hat, mich auch mehr in dieser Richtung zu engagieren.
Frank und seine Frau Dina hatten uns als Glücklicher Montag bereits bei bisherigen Projekten wie unseren Trickfilmen „Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“ und „1989 – Lieder unserer Heimat“ tatkräftig und finanziell unterstützt und irgendwann während der Vorplanungen für „Die Stadt der Sterblichen“, den Kunst- und Kulturwochen zur Endlichkeit im September 2019 in Leipzig, kamen wir auch auf meine „Gevatter“-Idee für eine Graphic Novel zu sprechen, die ich spätestens seit „Leipzig von oben“ schon mit mir herumtrug.
Da Frank als eingefleischter Comicfan sofort Feuer und Flamme für die Art der Herangehensweise und geplanten Umsetzung von „Gevatter“ war, stand einer Beauftragung des Projekts durch die FUNUS Stiftung nichts im Wege. Herrlich!
gev: Wann ist die Veröffentlichung geplant und in welchem Rahmen?
„Gevatter“ ist für den Beginn der „Stadt der Sterblichen“ am 6. September geplant, wenn auch die Ausstellung „Death walks behind you – Tod und Sterben in der Rockmusik“ in der Galerie KUB eröffnet wird. Thematisch passt das natürlich wie Arsch auf Eimer, weil es bei beiden Projekten nicht nur um das Sterben an sich, sondern vor allem um die Wirkung, den Ausdruck auf den Menschen in seiner Kunst und in seiner Musik geht. Wie beeinflusst mich die Gewissheit meiner Endlichkeit, wie gehts mir dabei, was mache ich daraus und was kann ich anderen davon mitgeben …
gev: „Gevatter – Sterben will gelernt sein“ ist der Titel.
Um was genau geht es in „Gevatter“?
Wie auch in unseren letzten Trickfilmprojekten greife ich bei „Gevatter“ auf meine eigene Vita zurück, einfach weil ich mich damit am Besten auskenne und hier weiß, was die Protagonisten fühlen, wie sie reagieren und was davon ich in der Graphic Novel erzählen möchte.
Die Geschichte handelt vom Aufwachsen meines Alter Ego Tim und seinem gleichzeitigen Begreifen der eigenen als auch der allumfassenden Endlichkeit – was bei mir persönlich mit sehr viel Angst, Unsicherheit und Irritation verbunden war. Ich möchte die Leser*innen einladen auf eine Berg- und Talfahrt durch meine Ängste und Neurosen als Beispiel dafür, wie mensch eben mit den großen Themen umgeht und sie anzupacken lernt in der Hoffnung, die Rezipienten erkennen etwas davon in sich wieder und bekommen damit vielleicht auch einen klareren Zugang zu ihrer eigenen Vergänglichkeit und dem Wert, den das Leben dadurch bekommt. Vorausgesetzt, sie sind nicht sowieso schon mit sich im Reinen, was ich jedem nur wünschen kann … Depression, Alkohol und Traumata spielen genauso eine Rolle wie das Streben meines Protagonisten nach künstlerischem Ausdruck in Musik, Comics und Kunst, was für mich natürlich untrennbar miteinander verbunden ist.
gev: Wie ist der Aufbau, die Gestaltung und das Design? Arbeitest du wieder mit realistische Figuren und Handlungsorten sowie Bildern, in denen viel Inhalt steckt und passiert – Markenzeichen von dir …?
Graphic Novel klingt immer recht hochgestochen, als Comiczeichner habe ich mit der Begrifflichkeit natürlich irgendwie ein Problem. Für „Gevatter“ habe ich mich deshalb an den beiden Werken orientiert, die den Begriff allgemein definiert haben: Will Eisners „A Contract with God“ und Alan Moores und Dave Gibbons „Watchmen“. Bei Eisner finde ich die auf Natürlichkeit angelegte Dialogführung ganz großartig, weil sie sich real anfühlt, und von „Watchmen“ habe ich die strenge Einzelbildeinteilung übernommen, die auf einem klaren Neun-Bilder-pro-Seite-Raster, Drei-Bilder-Pro-Zeile beruht. Mit dieser Einteilung komme ich wunderbar klar, weil sie ein rhythmisches Erzählen gestattet, das mir sehr entgegenkommt. Größere Bilder wie Establishing Shots kann man dramaturgisch gut eintakten, ohne dass es nach alberner Superhelden-Action aussieht und Rückblenden kann ich einfach mit gewellten Panelframes ausdrücken.
Stilistisch orientiere ich mich bei dieser Schwarz-Weiß-Geschichte natürlich an Vorbildern wie Charles Burns, Mike Mignola, Frank Miller oder Daniel Clowes – kontrastreiche, solide Bilder, in denen die feinen Linien der realistisch angelegten Figuren nicht zu kurz kommen – was sicher wie ein Haufen Arbeit klingt. Ist es auch. Und es macht sehr große Freude beim Zeichnen.
gev: Ab 1. Juni gibt es auf Facebook regelmäßig Updates und News zu „Gevatter“.
Was genau erwartet den geneigten Leser?
Mal sehen. Da ich mit gelecktem Marketing nicht so gut kann, werde ich auch hier versuchen, möglichst authentisch zu bleiben und mir auch mal in die Karten gucken zu lassen, obwohl mir das natürlich schwer fällt, da ich ganz gerne die Sachen bis zur Druckreife bringe, bevor ich sie herzeigen will. Aber genau das zu unterwandern, ist hier auch die Aufgabe.
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TEIL 2
gev: „Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling.“ (Laotse)
Welche Gedanken und Assoziationen gehen bei diesem Ausspruch bei dir damit einher?
Hmm, Laotse … einer meiner Favoriten.
Dieser Ausspruch ist ein schönes Beispiel für einen Perspektivwechsel, durch den ich auf mich selbst und mein Leid mit anderen Augen blicken kann. In schlimmen Situationen oder Zuständen hilft mir oftmals so ein Satz, um zu kapieren, dass es immer ein Danach gibt – egal, wie sinnlos, traurig oder aussichtslos mir ein Moment auch erscheinen mag. Love it.
gev: Was sind deine Lieblingszitate zum Thema Tod?
Da gibt es unendlich viele, da kann ich jetzt nur ein paar zum Besten geben …
„Seines Todes ist man gewiss: warum wollte man nicht heiter sein?“
(Friedrich Nietzsche)
„Der Tod ist nicht der Feind des Lebens überhaupt, sondern das Mittel, durch welches die Bedeutung des Lebens offenbar gemacht wird.“
(Friedrich Nietzsche)
„Der Tod wird erst furchtbar durch den Hintergrund, den man ihm gibt. Wie die Liebe eine beseligende Traumwelt, so erzeugt die Furcht eine höllische Traumwelt. Der irregeleitete Verstand erzeugt die Schrecken. Man soll den Tod nicht überwinden, aber wohl bestehen lernen.“
(Friedrich Nietzsche)
„Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.“
(Epikur von Samos)
„Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.“
(Marcus Aurelius)
„Liebe ist Qual, Lieblosigkeit ist Tod.“
(Marie von Ebner-Eschenbach)
„Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt – und nicht, was wir ersehnt haben.“
(Arthus Schnitzler)
„Wir müssen immer lernen, zuletzt auch noch sterben lernen.“
(Marie von Ebner-Eschenbach)
gev: Was sind deine Lieblingssongs und Songtexte zum Thema?
Meine Lieblingslieder sind meist eine Mischung aus Beschäftigung mit dem unvermeidlichen Ende und mit dem Leben davor, dass es zu meistern gilt …
Dead Moon – „It’s O.K.“ (auf „Crack In The System“)
Type O Negative – „Everything Dies“ (auf „World Coming Down“)
Ton Steine Scherben – „Halt dich an deiner Liebe fest“ (auf „Wenn die Nacht am tiefsten …“)
Ramones – „Poison Heart“ (auf „Mondo Bizarro“)
Slime – „Etikette tötet“ (auf „Alle Gegen Alle“)
Fugazi – „Give Me the Cure“ (auf „13 Songs“)
Bob Mould – „Voices in My Head“ (auf „Patch The Sky“)
Killing Joke – „You’ll Never Get to Me“ (auf „Killing Joke 2003“)
Hole – „Awful“ (auf „Celebrity Skin“)
Motörhead – „1916“ (auf „1916“)
Joey Ramone – „I Got Knocked Down (But I´ll Get Up)“ (auf „Don’t Worry About Me“)
Social Distortion – „When the Angels Sing“ (auf „White Light, White Heat, White Trash“)
Type O Negative – „Everyone I Love Is Dead“ („World Coming Down“)
Tocotronic – „Sag alles ab“ (auf „Kapitulation“)
Ludwig van Beethoven – „9. Sinfonie“
Wolfgang Amadeus Mozart – „Requiem“
gev: Magst du uns Bücher und Filme zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?
Natürlich gibt es auch da unwahrscheinlich viel zu entdecken, aber hier ein paar Bücher …
Brad Warner – „Hardcore Zen: Punkrock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles“
Carlos Castaneda – „Reise nach Ixtlan: Die Lehre des Don Juan“
Art Spiegelman – „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“
Art Spiegelman – „Maus II – Die Geschichte eines Überlebenden. Und hier begann mein Unglück“
Dieter Noll – „Die Abenteuer des Werner Holt“
Andrew Solomon – „Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression.“
Paul Celan – „Die Todesfuge“
… und hier ein paar Filme, wahllos aus einer unendlich langen Reihe herausgegriffen …
„Projekt Brainstorm“ (1983, Regie: Douglas Trumbull)
„Mein Nachbar Totoro“ (1988, Regie: Hayao Miyazaki)
„Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001, Regie: Hayao Miyazaki, Kirk Wise)
„Harold und Maude“ (1971, Regie: Hal Ashby)
„Dallas Buyers Club“ (2013, Regie: Jean-Marc Vallée)
„Bambi“ (1942; Regie: David Hand, James Algar, Samuel Armstrong, Bill Roberts, Paul Satterfield, Graham Heid, Norman Wright)
„Angel Heart“ (1987, Regie: Alan Parker)
„Der Höllentrip“ (1980, Regie: Ken Russell)
„Sieben Minuten nach Mitternacht“ (2016, Regie: Juan Antonio Bayona)
„Metalhead“ (2013, Regie: Ragnar Bragason)
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TEIL 3
gev: Warum ist es deines Erachtens nach notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?
Weil das alles ist, was wir haben. Die Anhäufung von Gütern, Ämtern und Auszeichnungen wird uns am Ende nichts nutzen, wenn wir daraus nicht Kapital für eine bessere Welt geschlagen haben. Der Spruch „Das letzte Hemd hat keine Taschen“ ist dabei ein guter Ratgeber, weil er in sehr schön verkürzter Form zusammenfasst, worum es geht: Materielle Güter sind kein echter Reichtum, der erstrebenswert ist. Echten Reichtum schöpft man nur aus Erfahrungen, aus Erleben, aus dem Leben selbst.
Und dieses Leben ist endlich und – als Fünfzigjähriger kann ich das jetzt zur Gänze bestätigen – verdammt kurz.
Hast du eben noch selbst im Pool geplanscht, schaust du jetzt deinen Enkelkindern dabei zu. Das, was dazwischen mit mir passiert ist, macht den Wert meines Lebens aus. Das ist seine Summe. Und sowas sollte man stets vermitteln, weil es offensichtlich noch nicht alle in die Köpfe gekriegt haben, wenn man sich so umschaut auf der Welt.
Bei Castaneda nennt Don Juan diese Menschen „Unsterbliche“ und meint damit Leute, denen ihre Sterblichkeit nicht bewusst ist und die deshalb jede Menge Torheiten wieder und wieder begehen, ohne dass ein Lernprozess in Gang gebracht wird, und die somit ihr einziges Leben verschwenden, bis es plötzlich einfach zu Ende ist. Ungenutzt verstrichen. Bedeutungslos. Vor allem für sie selbst.
gev: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?
Darüber reden, sobald sich die Möglichkeit dazu ergibt. Mein Vater hat das wortwörtlich bis auf sein Totenbett aufgeschoben und hat sich so sein Sterben zu einem qualvollen, angstbesetzten Erleben gemacht, dass ewig gedauert hat. Es war entsetzlich und wir konnten tagelang nichts tun, außer ihm dabei zusehen zu müssen.
Sein Vater – mein Großvater – hatte es ihm eigentlich anders vorgelebt. Der war in Würde gegangen, vollkommen bewusst und sich seiner Endlichkeit klar. In den Tagen vorher hatte er alle in seinem Lebenskreis zu Einzelgesprächen zu sich gebeten und er hat jedem gesagt oder gezeigt, welche Bedeutung er oder sie für ihn und in seinem Leben hatte, dass es jetzt aber Zeit für ihn sei zu gehen. Meinen Vater und seine Geschister hat er gebeten, ihn loszulassen, um ihm den Übergang nicht zu erschweren. Davor habe ich bis heute mega Respekt und ich hoffe, dass ich auch zu solcher Größe fähig sein werde, wenn sich mir die Gelegenheit dazu ergibt.
In unseren Workshops und bei anderen öffentlichen Gelegenheiten nehme ich Themen wie unsere Sterblichkeit, meine Depression oder Angstneurosen bewusst mit rein, um daran zu illustrieren, wie wertvoll jede Minute Leben ist und das wir nichts verschwenden dürfen, aus dem wir Energie und Freude empfangen können.
Mir gibt das Wissen um mein Ende Kraft für meine Arbeit, mein Umfeld und mein Leben, weil ich dadurch bewusster lebe, intensiver. Der Blick für die kleinen Dinge wird enorm geschärft, auch wenn ich logischerweise nicht allem entsprechen kann. Aber auch das gehört dazu.
Im Allgemeinen ist es erstrebenswert, wenn der Tod wieder stärker aus dem akademisch-medizinischen, sachlich-kühlen Beschreibungskanon unserer Zeit herausgebrochen werden würde, um ihn fest im Alltags-Erleben zu verankern. Das hätte enormen Einfluss auf unser familiäres und gesellschaftliches Miteinander bis hin zu Konsumverhalten, Tierethik und die Energie- und Klimapolitik.
gev: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
Das ist wie mit der m. E. fürchterlichen Schulbildung unserer Tage. Wenn nicht grundsätzlich ein Umdenken auch und vor allem in der Politik – also auf der Lenkungsebene – stattfindet, werden alle anderen Bestrebungen nur kleine Graswurzelbewegungen sein, deren Erfolge nur sehr, sehr langsam greifen können, wenn sie nicht vorher schon ausgerissen werden. Eine klare Enttabuisierung von Suizid und was dazu führen kann, von psychischen und physischen Erkrankungen von Burnout bis Borderline und von Krebs bis AIDS, von Trauerarbeit, Schmerz und Leid im Allgemeinen ist ein machbarer Weg, unserer Leistungsgesellschaft und den damit verbundenen Denk- und Sprachschranken menschliche Reaktionen und menschliches Handeln entgegenzusetzen.
Pflege-, Sozial- und Palliativberufe genießen momentan nicht gerade den besten Ruf unter Jugendlichen.
In konfuzianischen China hieß es mal, der ist der beste Arzt, dessen Patienten nicht krank sind. Da müssen wir hin. Weg vom leistungsorientierten, inhumanen Turbokapitalismus und seinen krankmachenden Auswirkungen auf die menschliche Seele und hin zu einer Gesellschaft, die auf ein Miteinander aufgebaut ist, auf Teilhabe aller und Empathie.
gev: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?
M. E. bilden Kunst, Kultur und Bildung die Basis für alles andere, was das Leben vor dem Tode lebenswert machen kann … falls Bildung eine echte „Herzensbildung“ meint … ansonsten handelt es sich bei Bildung nur um Auswändiglernen und tote, kalte Information, die weitergegeben wird. Ohne diese drei zivilisatorischen Errungenschaften fallen wir zurück in eine Zustand, in dem es nur ums nackte Überleben geht. Jeder für sich und Alle gegen Alle. Ausschnitte eines solchen Zustandes kann man überall auf der Welt erleben: unser Umgang mit Obdachlosen, unser Umgang mit Geflüchteten, unser Umgang mit Alten und Kranken, mit Marginalisierten, mit vermeintlich Schwächeren, mit Frauen, mit Kindern, mit Vertreter*innen anderer Religionen …
Die Naziherrschaft des Dritten Reiches hat sehr gut vorgeführt, dass es nicht reicht, Kunstschätze zu horten und grandiose Betonbauten zu errichten. Wenn die Ideologie dahinter menschenverachtend ist – und also die Herzensbildung abhandengekommen ist oder bewusst abgeschafft wurde –, nützen Kunst und Kultur einen Scheiß, denn dann dienen sie nur dazu, die Entmenschlichung der herrschenden Individuen zu übertünchen. Diese Bestrebungen der Schönfärberei hat jede Diktatur: architektonischer Wahnsinn und strahlende Soldaten- und Kindergesichter in homogenen Farben. Aber das ist nur Fassade, die im alten Rom genauso abgebröckelt ist wie später bei Stalin, in Maos China, bei Hitler oder jetzt in den Autokratien, die sich notdürftig mit dem Mäntelchen der Demokratie bedecken.
Sobald ein Staatswesen, ein Präsident oder eine Führungsebene Kunst, Kultur oder Bildung einzuschränken suchen, verbieten oder steuern wollen, sollte man noch am selben Tag auf die Barrikaden gehen und schon mal ein paar Pflastersteine zurechtlegen für den Fall, dass der eigene Anspruch der Gewaltlosigkeit nicht ausreicht, um gegen Gleichmache, Kleinmache und Diktat vorzugehen.
Wohlgemerkt: Die rote Linie ist auch dabei die der Intoleranz von Staaten, Gruppen, Parteien, Individuen oder einem selbst. Der gegenüber darf man sich nicht tolerant zeigen.
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TEIL 4
gev: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.
Mit unserem Studio Glücklicher Montag kann ich all die Dinge umsetzen, die mich reizen und die ich für hilfreich oder notwendig erachte, um die Welt im Rahmen meiner und unserer Möglichkeiten zu einem schöneren Ort zu machen. Konkret sind das neben Buch- und Graphic-Novel-Produktionen zu gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen auch Animationsfilme, tagespolitische Karikaturen, Comicstrips für das Leipziger Straßenmagazin „Kippe“, Illustrationen für Schulbücher, Optiken für Mitmach-Wettbewerbe wie die „Visionale Leipzig“ oder für TV-Sendungen wie „MDR Kripo Live“, „MDR Exakt“ oder „MDR Zeitreise“ – und eben auch die Arbeiten im Rahmen der „Stadt der Sterblichen“, bei denen es mir darum geht, Tod, Trauer, Leiden und damit einhergehende Ängste, Depression und psychische Belastungen zu thematisieren und dem ganzen Themenkomplex eine breitere Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Daneben veranstalten wir sachsen- und bundesweit Workshops und Referate an Schulen, in sozialen und in Bildungseinrichtungen, bei denen wir uns mit den Teilnehmenden mittels Comic, Manga und Trickfilm mit Themen wie „Demokratie und Diktatur“, „Hatespeech und Mobbing“ oder der Verbesserung der eigenen Medienkompetenz auseinandersetzen.
Unser Studio und unseren Alltag führen wir dabei so vegan, wie es irgend geht, da die Erhaltung und Verbesserung unserer eigenen Lebensqualität mMn nicht zu Lasten anderer Lebewesen oder der Umwelt gehen sollte. Das gestaltet sich zwar oft sehr schwierig, weil die menschliche Gesellschaft neben der Ausbeutung anderer, vermeintlich schwächerer Menschen vor allem auch die Ausbeutung der Tier- und Umwelt seit Jahrtausenden erfolgreich betreibt, aber für mich lohnt es sich wirklich jeden Tag, ein Problem gelöst zu haben, ohne dabei auf die einfach und überall verfügbaren Mittel zurückgreifen zu müssen, die nur durch das Leid anderer in die Welt gekommen sind.
Der Verzicht auf Mobiltelefone oder das Internet ist dabei momentan genauso wenig möglich wie der Verzicht auf ein Auto, das uns und unser ganzes Material zum Workshop nach Zittau und wieder zurückbringt, aber allein dass ich mir dessen bewusst bin, sorgt dafür, dass ich diese Ressourcen so sparsam und sinnvoll wie möglich nutze.
Und da sind wir dann auch schon bei der Frage nach der Lebensphilosophie. Ich könnte es mit dem einfachsten Satz der Welt beantworten: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Oder positiv formuliert: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
So ein einfacher Satz ist im ganz normalen Alltag teilweise schon echt schwer umzusetzen …
gev: Wie und in welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen“ mit?
Als Frank Pasic von der FUNUS Stiftung die Leipziger #sds19 auf den Weg brachte, lud er neben Pia Elfert sowie Hedwig und Udo Portner vom Bestattungshaus Ananke auch Sandra und mich von Glücklicher Montag ein, als ortsansässige „Leuchttürme“ die Leipziger Gesamtveranstaltung zu begleiten. Das meint, inhaltliche, personelle und öffentlichkeitswirksame Vorschläge und Programmpunkte einbringen, sagen, was man doof und was man cool für #sds19 findet und ganz allgemein die „Stadt der Sterblichen“ zu einem Ereignis zu machen, das von den Leipzigern im September wahr- und angenommen wird.
Daneben kümmere ich mich inzwischen auch um die grafische Umsetzung für die Außenkommunikation vom Poster über Flyer und Programmhefte bis zu den Optiken für die sozialen Medien und das Internet, damit das alles einheitlich rüberkommt und „Die Stadt der Sterblichen 2019“ ein klares Gesicht und Profil hat.
gev: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?
Seit Kindesbeinen lebe ich mit einer endogenen Depression, weshalb ich mich auch irgendwie schon immer für den Tod, die Dunkelheit und die Abgründe des Lebens interessiert habe. In meinen Anfangszwanzigern entwickelte sich dann eine handfeste Angstneurose, die ich wie vorher schon meine Depression mit viel Alkohol und Tabletten lange verdrängt habe, bis ich mich aufgrund des unhaltbar gewordenen Leidensdrucks und meiner manchmal latenten, oft ausgelebten Aggressivität gegenüber mir selbst und meiner Mitmenschen irgendwann doch mal endlich in Behandlung begeben habe. Das war ein wichtiger Schritt. Lebensrettend.
Das heißt, ich kann jetzt zwar viele Krisen meistern oder wenigstens durchstehen, aber die Depression und die damit einhergehenden finsteren Gedanken und Unwelten sind natürlich weiterhin da.
Mir geht es jedoch besser, wenn ich mit diesen Zuständen offen umgehe und mich aktiv mit Terror, Tod und Teufel auseinandersetze.
Meine Arbeit ist natürlich auch bestens dazu geeignet, solche Themen in die Welt zu bringen wie jetzt durch meine Graphic Novel „Gevatter“ oder vorher unseren Animationsfilm „Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“, der sich mit dem Tod meines Vaters – aber eben auch und vor allem mit dem Leben davor – beschäftigt.
Mit der „Stadt der Sterblichen“ bspw. kamen wir auch schon 2017 in Kontakt, als diese Kulturwochen in Halle/Saale stattfanden und wir im Rahmen dessen einen Workshop zur Endlichkeit mit Teilnehmer*innen aus Pflege- und Palliativberufen veranstaltet haben.
Die Beschäftigung mit dem Tod und der eigenen Endlichkeit wirft mich direkt auf das Leben zurück und lässt mich die Zeit besser nutzen, die mir auf dieser Welt bleibt.
gev: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?
Das ist, soweit ich weiß, ein Kunstbegriff, den die FUNUS Stiftung zur Taufe ihrer Zeitschrift „Drunter & Drüber“ in den öffentlichen Raum geworfen hat. Ich finde ihn sehr passend, da er die Frage aufwirft, wie wir als Einzelpersonen und als Gesamtgesellschaft eigentlich mit unserer Endlichkeit umgehen – angefangen bei ganz praktischen Fragen wie „Feuer- oder Erdbestattung?“ bis hin zu geopolitischen Fragen wie der Ausbeutung der endlichen Ressourcen ohne Rücksicht auf nachkommende Generationen. Da steckt „Nachhaltigkeit“ mit drin und wir sollten uns fragen, was wir hinterlassen, wenn wir nach einer ziemlich kurzen Daseinsspanne die Weltbühne wieder verlassen: Nach uns die Sintflut oder pflanze ich einen Baum, in dessen Schatten erst meine Enkelkinder sitzen werden?
gev: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
Wie oben schon erwähnt, setze ich auf das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ – allerdings im positiven Sinne. Menschen sind wir immer nur in Gesellschaft mindestens einer anderen Person – allein sind wir nur ein Patchworkmantel aus Information, Erziehung, Bildung, Wissen, Vorstellung und mächtigen Urinstinkten … das ist unser Erbe, aus dem für jeden und jede seine bzw. ihre persönliche Aufgabe erwächst, das Beste daraus zu machen.
Was nun dieses „Beste“ sein soll, entscheidet jede/r aus dem, was allen mit auf den Weg gegeben wurde, und dem, was uns auf dem weiteren Weg passiert, wen wir dort antreffen und welche Schlüsse für unser Handeln wir daraus ziehen.
Das Beste für mich muss also nicht automatisch das Beste für dich sein – wie wir leicht am Turbokapitalismus und an Autokratien und Diktaturen sehen und erleben können.
Inzwischen ist die menschliche Zivilisation im Gesamten so weit, dass sie Individualität und Selbstbestimmung als Wesensmerkmale erkannt hat, auch wenn es mit dem Anerkennen und dem danach Handeln noch ziemlich hapert. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es immer Menschen geben wird, die Achtsamkeit als hohes Gut ansehen und die es schaffen, sich über den Egozentrismus zu erheben, den wir alle in den ersten zwei, drei Lebensjahren unseres kurzen Daseins als Überlebensstratgie anwenden und den wir spätestens als Teens überwinden sollten, um zu einem besseren Miteinander beizutragen. Das geht nur mit Vorbildwirkung, denn der Mensch lernt durch Beobachten, sich selbst in Beziehung zur Welt zu setzen.
„Wer liebt, muss lassen können.“ ist da so ein Motto, das ich ziemlich nützlich finde, um besser durch den Tag zu kommen.
gev: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung halte ich für die Basis einer Zivilisation, die diese Bezeichnung auch zu Recht tragen will. Wenn die Durchsetzung meiner Freiheit nur mit der Beschneidung der Freiheit anderer einhergehen kann, ist es keine Freiheit, sondern ganz gewöhnlicher Egoismus.
Die Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution von 1789 hatte mich in ihren Bann geschlagen, als ich das erste Mal in der Schule von ihr erfuhr – das ist eine Gesellschaftsutopie, für die es sich für mich zu kämpfen lohnt. Und zwar im Wortsinn und nicht in ihrer verbogenen Form des „Manche sind gleicher“-Slogans aus der „Farm der Tiere“, wie sie in vielen Demokratien durchexeziert wird, die mMn ihren Namen nicht verdienen.
Dass die französischen Revolutionäre ernsthaft glaubten, sie kämen ihrer Losung durch den massenhaften Gebrauch der Guillotine auch nur einen Kopfbreit näher, ist da eher ein böser Treppenwitz der Geschichte. Doch das macht für mich die Losung als Lebensmotto nicht wertlos, den die Utopie kann ja nichts für diejenigen, die sie umzusetzen suchen und ein Ideal bleibt deshalb immer ein Ideal, weil man es nie erreichen kann, jedoch kann man sehr wohl auf dem Weg dahin die Umstände für alle verbessern.
gev: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:
1. Eines Tages werde ich sterben
… und es gibt nichts in der Welt, das ich mitnehmen kann.
2. Unsterblichkeit wäre
… auf Dauer wahrscheinlich ziemlich langweilig und würde damit den Wert des Lebens vermindern.
3. Das Leben ist
… verdammt kurz, weshalb ich es nicht verschwenden will.
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TEIL 5
gev: Wie gehören für dich Comic, Trickfilm und Musik zusammen? Was bedeuten sie für dich als Künstler und in deinen eigenen Werken?
Comic, Trickfilm und Musik sind als Erzählmedien meine drei großen Vorlieben, die für mich immer irgendwie zusammengehören, da alle drei dieser Ausdrucksformen – zusammen mit dem Realfilm – auf Rhythmus und Melodie basieren, auf Dynamik, rauf und runter, hoch und tief, auf das Vergehen von Zeit, während sich eine Handlung oder Geschichte entwickelt und man im Idealfall am Ende schlauer ist als vorher.
Das lässt sich natürlich auch auf Einzelillustrationen, Karikaturen oder Bücher herunterbrechen …
Für mich ist das alles eine Soße, nur mit verschiedenen Ausprägungen in Geschmack und Sämigkeit und es kommt nur immer darauf an, was gerade umgesetzt werden soll, wie die Aufgabenstellung ist, um zu sehen, für welches Medium man sich letztlich entscheidet.
Da ich als Knirps zu großen Teilen durch Westcomics und Westmusik sozialisiert wurde – die verbotenen oder schwer erreichbaren Früchte sind eben immer viel reizvoller als das Gemüse im eigenen DDR-Garten –, wollte ich eben unbedingt Comics machen. Klassische Illustration, Grafik, Malerei und Buchgestaltung haben mich zwar auch interessiert und tun es noch, aber wirklich eingetaucht bin ich nur in Marvelcomics, Asterixhefte oder die Abenteuer von Spirou und Fantasio, die ich noch als Pit und Pikkolo kennengelernt habe.
Dazu gabs immer Musik. Mein Onkel, der nur fünf Jahre älter ist als ich, war natürlich mit ausschlaggebend – während meine Großeltern Operetten von Lehar und Gluck und Helga Hahnemann im Radio hörten, lief bei ihm im Zimmer Status Quo, UFO oder „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum. Das war für mich als Neunjähriger natürlich viel cooler. Als ich selbst dann im Cliquenalter war, entdeckte ich Metal, Punk und NDW – und das passte irgendwie alles viel besser zum gewaltigen Hulk als der „Ball im Savoy“.
Mit Undergroundcomix wie „Zap“ von Robert Crumb oder „The Fabulous Furry Freak Brothers“ von Gilbert Shelton entdeckte ich dann, dass man Comicgeschichten auch anders erzählen konnte – das war rauh, ungeschliffen, überdreht, herzlich, dreckig und gemein und es war insgesamt viel ehrlicher und lebensnaher als das Marsupilami oder der edle Superman. Zeitgleich fand ich Motörhead, die Ramones, DAF und die Sex Pistols und ich fand mit „U-Comix“ und Gerhard Seyfried heraus, dass es auch deutsches Zeug gab – man musste kein US-Amerikaner sein, um sowas selbst zu erschaffen.
Infolgedessen kreisten die ersten Texte unserer Band Tishvaisings natürich um das Alien, um H. P. Lovecraft und um die eigenen Befindlichkeiten zu Themen wie dem Tod, Ekel, Trauer, Alkohol, Wut und Tristesse …
Natürlich hat es Jahrzehnte gedauert, bis ich mich halbwegs von meinen Vorbildern gelöst hatte und inzwischen habe ich manchmal sogar den Eindruck, dass ich tatsächlich meine eigenen Geschichten erzähle, schreibe oder singe und dafür all die Tricks anwende, die ich beim Lesen, Sehen und Hören gelernt habe, aber der rattenscharfe Beat von „Blitzkrieg Bop“ wummert eigentlich immer im Hinterkopf, wenn ich eine Story zeichne oder an einem Trickfilm sitze – das soll alles auf den Punkt kommen, es soll akurat sein, straight, und es soll die Rezipienten möglichst aus den Socken hauen: One-Two-Three-Four-BOUM!
gev: Warum hast du dich bei „Gevatter“ für genau diesen Stil entschieden?
Schwarz-weiß. Sehr realistisch. Und unglaublich detailreich?
Beim Stil einer Geschichte und ihrer Umsetzung bin ich immer das arme, arme Opfer der Umstände, denn es ist umgekehrt: Der Stil entscheidet sich für mich. Wenn ich mich an den Rechner setze, um die Geschichte zu schreiben, bauen sich die Bilder und Situationen im Kopf auf und ich versuche nur zu beschreiben, was ich da höre und sehe.
Da sich „Gevatter“ wie auch schon „1989 – Unsere Heimat …“, „Leipzig von oben“ und „1989 – Lieder unserer Heimat“ aus meiner Autobiografie speist, sehe ich natürlich sehr viel, weil alles präsent ist, die Erinnerungen und Gefühle, Gerüche und Töne, weil ich eben selbst erlebt habe, wie sich etwas anfühlt, wie es aussieht oder sich anhört … Da besteht dann die Schwierigkeit darin, all das wegzulassen, was den Fluss der Story stört oder den Betrachter nur unnötig ablenkt. Fokussiert zu bleiben, finde ich bei solchen Geschichten ziemlich tricky, da es so viele Sachen gibt, die man noch mit reinpacken könnte … Deshalb versuche ich – wie wahrscheinlich jede*r Erzähler*in – nur die Sachen darzustellen, die der Geschichte dienen und sie vorantreiben.
Bei „Gevatter“ muss es für mich schon etwas detailreicher sein, weil ich ja möchte, dass sich die Leser*innen auf die Geschichte einlassen. Sie sollen sich in vertrauter Umgebung fühlen, Bekanntes wiedererkennen, eintauchen und sich so auf das einlassen, was ich ihnen erzähle.
Das Schwarz-Weiß ist zum einen meiner Vorliebe für Undergroundcomics geschuldet, die ja zu Anfang auch immer Schwarz-Weiß waren, zum anderen liebe ich viele andere Comics und Graphic Novels in Schwarz-Weiß: „Black Hole“, die originalen Popeye-, Calvin-und-Hobbes- und Peanuts-Strips, Will Eisners „The Spirit“, „Mr. Monster“, Bernie Wrightons „Frankenstein“, „Akira“ … überhaupt die ganzen fantastischen Manga von „Dragonball“ bis „Parasyte“, die alle nur mit dieser reduzierten Farbgebung irre Ergebnisse erzielen. An ihrem unverwaschenen Strich erkennt man immer, was die Leute wirklich draufhaben.
Zum Gegencheck für „Gevatter“ und die Frage, ob ich da mit Farbe arbeiten sollte, habe ich mir auch ein paar geliebte Klassiker als Schwarz-Weiß-Editionen reingezogen, die ich vorher nur als Vollfarbcomics kannte: „Swamp Thing“, „Howard the Duck“, „The Dark Knight Strikes Again“ und natürlich „Watchmen“ … auch diese Sachen habe ich viel intensiver wahrgenommen als vorher das Gleiche in Farbe. Schwarz-Weiß ist es natürlich weniger gefällig, rougher, konkreter – aber genau das mag ich. Man sieht die ursprüngliche Intention der Zeichner, die Strichführung, die Kontraste.
Das mochte ich schon für „Seelenfresser“ – und Dank des iPad kann ich bei Gevatter noch mehr ins Detail gehen und ich habe mehr Kontrolle über den Strich, obwohl ich da immer aufpassen muss, dass ich die Panels nicht tot zeichne. Mignola weiß, wieviel Kontrolle gut für seinen schwarz-weißen Hellboy ist, Charles Burns übertreibt es meiner Meinung nach manchmal zu sehr in seiner strengen Strichführung und die Figuren wirken dann wächsern, entfernt und leblos. Das möchte ich für „Gevatter“ natürlich nicht. Es soll locker hingeworfen wirken, auch wenn genau das eine scheiß Arbeit ist.
gev: Wie kann man sich ein Leben als Comic-Zeichner vorstellen? „Hobby und Leidenschaft zum Beruf gemacht. Den ganzen Tag zeichnen, was, wie und wann man will. Das flutscht dann einfach von der Hand. Du kannst dich als Künstler verwirklichen und entfalten. Besser gehts ja wohl nicht. Und du kannst deine Depression „aufarbeiten“ und in etwas Positives verwandeln. Dich ausdrücken.“ So in etwa?
Oder ist eine Graphic Novel als Zeichner mit ganz viel Hölle, Selbstzweifeln, Überwindung und Existenzängsten verbunden?
Keine Ahnung, wie andere das erleben. Für mich ist es zum einen ein Privileg, das ich mir jeden Tag hart erkämpfen muss, dass ich die Zeit und die Konzentration finde, mich an einer Geschichte abzuarbeiten und da alles reinzuhauen, was ich habe, denn das Tagesgeschäft und das „ganz normale Leben“ nehmen eigentlich keine Rücksicht darauf, ob ich mich gerade damit rumschlage, Heizkörper aus den Siebzigern, Lichtschalter, Fenstergriffe oder Bahnabteile in die Hintergründe einzuarbeiten, damit die Geschichte real und glaubhaft wirkt.
Zum anderen ist es natürlich hausgemacht, wenn ich auf allen Hochzeiten tanze. Es zwingt mich ja keiner, jeden Tag zwei Karikaturen zu machen, Workshops zu veranstalten oder Eilaufträge anzunehmen, die es ebenso erfordern, dass ich da voll bei der Sache bin.
Zwar habe ich schon als Kind immer Comiczeichner sein wollen, aber ich interessiere mich für viel zu viele andere Sachen, um auf diese verzichten zu können. Einen Badewannenmord für MDR „Spur der Täter“ oder eine Fahrerflucht für MDR „Kripo Live“ zu illustrieren, gibt mir ja auch die Möglichkeit, dieses neue Wissen und die gemachten Erfahrungen in die anderen Projekte einzubringen, auch oder gerade wenn das Aufträge sind, die einen psychisch mitnehmen, weil ich immer wieder neu erstaunt bin, was Mensch dem Menschen antut und wozu wir fähig sind.
Meine Depression tickert da eigentlich meist eher nur im Hintergrund mit. Sie wirkt da so vor sich hin und macht, was Depressionen eben so machen, und bei manchen Comic-Panels, Trickfilm-Frames oder Fall-Illustrationen schnellt sie mal hervor, aber ich nehme mir bei keiner meiner Arbeiten bewusst vor: „So, jetzt arbeite ich mal meine Depression auf.“ Was sollte ich da aufarbeiten? Sie ist Teil meines Wesens. Ich kann sie maximal beschreiben, aber aus reinem Selbstzweck interessiert mich das nicht. Bei „Gevatter“ ist es notwendig für die Geschichte, dass ich da Aspekte mit erzähle, aber einen kathartischen Effekt erhoffe ich mir davon nicht.
„Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“ hat mir mit Sicherheit dabei geholfen, den Tod meines Vaters zu verarbeiten, aber ich habe bei diesem Trickfilm als Autor anfangs eigentlich nur nach einem Weg gesucht, wie ich das Thema „1.000 Jahre Leipzig“ so erzählen kann, dass man vor Langeweile nicht wegschläft beim Zugucken.
Mit Schweinevogel habe ich das ganze Comiczeichnerdaseinsding ziemlich vollständig durchexerziert: Da war 1987 erst die Figur. Irgendwie süß, aber nutzlos. Die musste also irgendwas Spannendes machen, damit ich das als Comic erzählen kann, so dass ich gleich zu Beginn 1989/1990 im vollen Undergroundfieber völlig überzogene, selbstreferenzielle Geschichten gemacht habe. Dann wollte ich das Ganze etwas sozialisieren, weil ich ja „Beruf Comiczeichner“ im Blick hatte – das ging 30 Jahre lang, ein ewiger Kampf mit Schweinevogel, bis ich kapiert habe, dass man einen wie auch immer definierten „Erfolg“ einfach nicht erzwingen kann. Die Figur ist die Figur. Die hat ihr Eigenleben und ich kann das annehmen oder mich abwenden. „Reformer“ und die ganzen Sachen für EEE waren immer damit behaftet, dass ich wie Bisley zeichnen wollte oder wie Mignola, wie Kevin O’Neill, Kelley Jones oder sonstwer – der Fokus lag darin, Seiten effektvoll vollzubekommen statt gute Geschichten zu erzählen. Insofern ist „Seelenfresser“ wirklich für mich meine erste eigenständige Story, die sich selbst genügt und bei der ich mich meiner selbst als Zeichner und Autor sicher fühle. Da weiß ich, was ich mache und kämpfe nur damit, es so in Szene zu setzen, wie ich es vor meinem geistigen Auge sehe. Klar lasse ich mich weiter von anderen Zeichnern inspirieren, aber es fühlt sich komplett anders an als vorher, wo ich immer irgendwohin wollte und die Einzelseiten immer nur eine Station auf dem Weg zu Ruhm und Ehre waren. Was für eine Zeitverschwendung.
Die erste Plot-Idee für Seelenfresser hatte ich 1998 und ein Jahr später wollte ich das bei EEE zur Jahrtausendwende rausbringen. Zum Glück war mir der Plot zu gerade und zu abgeschmackt und die Figur der Nova, die damals noch Carmen hieß, war genau wie die anderen extrem schablonenhaft und einsilbig. Also setzte ich mich irgendwann hin und schrieb ein detailiertes Drehbuch, mit dem auch die Story anwuchs, deren erste Hälfte in den ersten beiden Alben von „Seelenfresser“ zu finden ist. In der Zeit habe ich sowieso viele Drehbücher und Storyboards gelesen, weil ich mich als Trickfilmvideoautor und -regisseur ganz einfach damit befassen musste, wie man Handlungen anlegt und Figuren gut dastehen lässt.
Das hat mir auch dabei geholfen, diese ganzen Szenen von der Comiczeichner- über die Trickfilmer- und Film- bis hin zur Musikszene irgendwie hinter mir zu lassen, weil ich festgestellt habe, dass ich mich eigentlich keiner dieser „Szenen“ zugehörig fühlen kann oder will, die alle nach einem strengen Verhaltenskodex gestrickt sind, den ich weder dekodieren kann, den ich nicht verstehe oder an dem ich mich überhaupt orientieren will. Mich interessiert, wie man gute Geschichten erzählt, und das finde ich nur heraus, indem ich es mache – dabei ist mir das Medium vollkommen wurscht. Es muss nur ein Medium sein, in dem ich möglichst autark und selbstverwaltet arbeiten kann, um meinem angestrebten Ergebnis so nah wie möglich zu kommen. Realfilm schied deshalb natürlich aus, weil da einfach ein Riesenstab, Außendrehs, Locations, Drehpläne, überkandidelte Schauspieler*innen und sonstwas dranhängen. Ich finde es schon schwierig genug, mich mit einem Plattenlabel und ein paar Musikern auseinanderzusetzen zu müssen, um eine Trickfilmvideo zu machen.
Eine Graphic Novel wie „Gevatter“ erfüllt für mich denselben Zweck wie ein abendfüllender Film und ich muss mich da nicht mit einer Horde Executive Producers auseinandersetzen, weil die Mutter von Tim ständig raucht oder mal eine Flasche Absolut Vodka im Bild steht. Das Vergnügen beim Machen ist da für mich persönlich ungleich höher als in so einem gruppendynamischen Zirkus – das habe ich alles schon probiert, gemacht und durchgezogen und es hat mir nicht gutgetan, auch wenn ich dabei sehr viel gelernt habe, was ich jetzt in unserem kleinen, aber feinen Studio anwenden kann.
Das betrifft auch die angefragten Höllen, Selbstzweifel und Existenzängste – natürlich habe ich das alles und manchmal scheint es fast unerträglich, aber ich weiß immer, dass das meine eigenen Höllen, Selbstzweifel und Existenzängste sind und das ich der Einzige bin, der sie überwinden kann und muss, wenn ich diesen einen Trickfilm oder jenes eine Comic zu Ende bringen will. Umso öfter man das macht, umso leichter erkennt man die Krisenherde. Reintappen tut man trotzdem, weil die genau dafür da sind, jedoch ist da ganz hinten im Hinterkopf eine kleine Zuversicht, die mir sagt, dass ich diese Aufgabe jetzt meistern kann, weil ich andere Aufgaben auch schon gemeistert habe. Scheitern gehört einfach dazu.
gev: Wie lebt es sich als Comic-Zeichner (in Deutschland), insbesondere wenn man seine eigenen Geschichten erzählt und Comics zeichnet? Kann man damit seinen Lebensunterhalt verdienen, kann man davon leben?
Wie ist es bei dir und „Gevatter“?
Irgendwie hat es der Comic in Deutschland nie geschafft, die Aufmerksamkeit als Massenmedium zu bekommen, die er in meinen Augen verdient hätte. Das mag daran liegen, das ihm immer noch das „Schund- und Schmutzliteratur“-Image anhängt, das er seit den Nachkriegsjahren hatte, als die US-amerikanischen GIs ihre Mickey-Mouse-Hefte an die Kinder verteilten. Oder daran, dass es einfach zu wenig mutige Verlage gibt, die Erwachsenenthemen publizieren und vor allem fördern. Comic ist nach wie vor ein Nischenthema, auch wenn sich viele Verlage bemüht haben, mit dem Label „Graphic Novel“ neue Leserkreise zu erschließen oder die Leser*innen von Kinder- und Teenagercomics auch als Erwachsene an sich zu binden. Ein Blick ins Zeitschriftenregal des HIT-Marktes reicht eigentlich, um zu wissen, wo der Comic in Deutschland angesiedelt ist: Da liegen ein wiederaufgelegtes Lucky-Luke-Album neben einem alten Asterix, Bussi Bär, Star Wars (Lego!), dem Mosaik (eins mit Jungs, eins mit Mädchen), Feuerwehrmann Sam und dem unvermeindlichen Lustigen Taschenbuch, das mich schon als Kind angekotzt hat, weils einfach nicht so cool war wie Fix & Foxi-Extra. Eine Regalabteilung weiter liegen dann die neuesten Romane, Weltliteratur, Geschichtsbücher und Filmbildbände … Wer hat da schon Lust, so einen unsexy Beruf wie den des Comiczeichners zu ergreifen?
Wenn ich in den sozialen Netzwerken sehe, was die Kollegen so hauptberuflich machen, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Bibi Blocksberg, Pferdecomics, Weltraumgeschichten oder man arbeitet als Übersetzer*in. Die interessanteren Sachen fristen ein Schattendasein, weil es den Macher*innen aufgrund von mangelndem Marketingbudget und mangelnder Berichterstattung einfach nicht gelingen kann, für ihre Sachen eine breite Öffentlichkeit zu generieren, aus der sich eine Stammleserschaft herausbilden könnte.
Ich bewundere jede*n Kolleg*in, der/die sich nur allein von seinen/ihren Comicgeschichten ernähren kann – aber die wenigsten können das. Hier ein Workshop, da ein Wimmelbild, dort eine Comic-Lesung (Wie doof bitteschön ist das denn?!) … Ich weiß nicht, ob die Leute sich das so vorgestellt haben, als sie damit angefangen haben, Bildgeschichten zu zeichnen, ich jedenfalls nicht.
Ich dachte, man kann den ganzen Tag wie Jack Kirby an seinem Zeichenbrett sitzen und eine geile Seite nach der anderen raushauen. Dann macht man das Licht aus und chillt mit der Crowd. Und am nächsten Tag gehts genau so weiter.
Kurzum: Es ist wie in allen kreativen Berufen, die auf Konkurrenz und Publikum aufgebaut sind. Man muss sich den Arsch abarbeiten, um gut zu werden, jede Menge Klinken putzen, sich ein bisschen prostituieren und dabei irgendwie hoffen, dass noch dieses Quentchen Glück und diese eine günstige Gelegenheit dazu kommen, um „es zu schaffen“. Was immer dieses „es“ dann sein mag.
Nach zehn Jahren als Verlagsleiter von EEE mit echt guten Lizenztiteln wie „Hellboy“, „Heavy Metal: FAKK II“, „Faust“, „Body Bags“, „Satanika“ und „Death Dealer“ und vielen schnuckeligen Eigentiteln wie „Schweinevogel“ und „Extrem Terror“ könnte ich heute echt nicht sagen, dass EEE „es geschafft hatte“. In der Comicszene war EEE natürlich eine namhafte Größe, aber bei etwa 5.000 Comic-Ultras auf 80.000.000 Millionen Einwohner konnte so ein Verlag in Deutschland einfach nicht existieren, geschweige denn den vorhandenen Nachwuchs angemessen fördern, indem man korrekte Seitenpreise bezahlt und die Titel auch marketingtechnisch betreut.
Mit der Patchwork-Taktik, die wir bei Glücklicher Montag fahren, funktioniert das alles seit ein paar Jahren ziemlich gut: Trickfilme, Schulbuch-Illustrationen, Karikaturen, Zeichnungen für Fahndungssendungen, Demokratie-Workshops, Plakatgestaltungen und dazwischen immer wieder Comics.
Für „Gevatter“ hatten wir das Glück, mit Frank von der Funus Stiftung einen Comicfan kennengelernt zu haben, der das Projekt wegen seines Inhaltes – also der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – unterstützen wollte, und nicht wegen des Mediums. Sowas ist ideal und ich wünsche mir deutschlandweit mehr davon. Mehr Förderer*innen, Unterstützer*innen und Mäzene. Comics und Graphic Novels zu machen, ist verdammt zeitaufwändig, kleinteilig und irrsinnig kompliziert. Da tut es gut, wenn man verständige Leute hat, die sowas finanziell und ideell unterstützen und einen auch einfach erstmal machen lassen. Was Verlage so an Honoraren ausloben, ist mitunter ein Witz, aber ich weiß auch, dass sich die Verlage meistens gar nicht mehr als diesen Witz leisten können, weil man wirklich viele Hefte oder Alben verkaufen muss, um einen anständigen Seitenpreis an die Macher zahlen zu können.
gev: Wenn du zurückdenkst, als du ein kleiner Junge warst und Comiczeichner werden wolltest – und später auch wurdest ;-): Was ist deine Idealvorstellung als Leben als Comiczeichner? Wie hast du dir das damals vorgestellt? Wie ist es jetzt?
Wie ich vorher schon erwähnte, wurde mein Bild des Comiczeichners stark von dem geprägt, was mir Stan Lee auf den Editorialseiten der Marvelcomics herbeifabuliert hat: Jack Kirby, drei Meter groß mit Muskeln, die Muskeln haben, sitzt an seinem Zeichenbrett und knallt den Hulk, das Ding und den Silver Surfer in Rekordzeit aufs Papier, während er dicke Zigarren raucht, Whiskey trinkt und sich mit Stan the Man schlüpfrige Witze erzählt.
Es mag sein, dass es irgendwo da draußen Studiogemeinschaften gibt, wo es genau so abläuft, meine Realität war jedoch immer eine andere – aber die ist auch mehr als okay.
Wenn wir uns bei Workshops, Referaten oder Trickfilmpremieren vorstellen, schäme ich mich immer ein bisschen, wenn ich zugeben muss, dass ich Comics mache. Das ist ziemlich scheiße, weil das Medium selbst so großartig ist. Ich würde mich gern aufrecht hinstellen und laut durch die Halle brüllen: „In erster Linie bin ich Comiczeichner!!!“, aber das stimmt eben nicht, weil ich das zwar auch bin, aber nicht nur. Die anderen Teile meiner Tätigkeiten finanzieren das Comiczeichnen mit.
Das geht für mich aber vollkommen okay, weil alle Tätigkeiten unseres Studios Glücklicher Montag Tätigkeiten sind, die ich selbst auch will, die mir Spaß machen und die mich erfüllen.
gev: Warum hast du dich – zusammen mit der FUNUS Stiftung – dafür entschieden, die Variant-Cover deiner fünf Hefte von deinen befreundeten Zeichner-Kolleg*innen, wie Sascha Wüstefeld und Ingo Römling, zeichnen zu lassen?
Die Variantcover gehen darauf zurück, dass ich es immer sehr geil fand, wenn wir in den Neunziger und Nuller Jahren bei EEE Variants unserer Hefte mit allen möglichen Künstlern gemacht haben. Das war bei allen Verlagen Usus und einfach jeder haute Variants mit raus, um seinen Heften noch ein extra Glitzersternchen zu verpassen. Für Sammler war das sicher der reinste Horror, weil sie sich gezwungen sahen, von jedem Variant wenigstens eine Ausgabe zu haben. Besser zwei, wenn man noch tauschen wollte … Es war ziemlicher Irrsinn, der eigentlich nur dazu dienen sollte, die Hefte bekannter zu machen und sie irgendwie an den Mann oder die Frau zu bringen.
Als klar war, dass wir „Gevatter“ erstmal als 5-Issues-Miniserie starten würden, dachte ich „Okay, dann aber richtig oldschool: Pulp! 32 Seiten! Mit Magazinteil! Im Ami-Format! Und mit Variants!“
So richtig stulle ist die Idee sowieso nicht, weil gerade Zeichnergrößen wie Sascha und Ingo, die normalerweise vollkommen andere Themen beackern, auch das Interesse anderer Lesergruppen für „Gevatter“ wecken können, die vorher mit den behandelten Themen Tod, Depression, Sucht und Trauer vielleicht noch nicht so in Berührung kamen oder einfach nicht wussten, dass es dazu auch Comics gibt und das man solche Themen auch auf diese Art und Weise anpacken kann.
Daneben ist es für einen Zeichner wie mich natürlich immer eine große Sache, wenn sich geschätzte Kollegen wie Sascha und Ingo, deren Arbeiten man liebt, ihre Interpretation der eigenen Geschichte und Figuren zeigen. Ich kenne ihre alternativen Cover noch nicht, aber ich bin schon mega hibbelig, was ich da wohl zu sehen bekommen werde.
Für die weiteren Hefte haben wir auch schon Anfragen laufen, aber da liegt noch der Mantel des Schweigens drüber.
Ganz lieben Dank für das Interview
– Sandra
Wir haben dieses „Gevatter“-Interview wöchentlich und bisher in fünf Blöcken geführt, wie man an den einzelnen Fotos, die wir immer Freitagabend an Schwarwels immer gleichen Arbeitstisch gemacht wurden, sehen kann.