DIRECTOR’S NOTE „LEIPZIG VON OBEN“

Als ich mit der Arbeit für „Leipzig von oben“ begann, sah ich meine Aufgabe darin, einen Film über 1.000 Jahre seit Ersterwähnung und 850 Jahre seit Stadt- und Handelsrecht Leipzigs zu erzählen.

Umso mehr ich mich jedoch in die vielen dicken Bücher zur Geschichte meiner Geburts- und Heimatstadt einlas und vertiefte und umso mehr ich mit Leuten über dieses Projekt sprach und mich dadurch mit spontanen und oft sehr privaten Zusatzgeschichten konfrontiert sah, desto größer wuchs die Last der Aufgabe und desto unmöglicher schien es mir, mit dieser schieren Unmenge an Wissens- und Erzählenswertem einen sowohl unterhaltsamen als auch emotionalen Kurzfilm mit unseren Mitteln des Zeichentricks zu erzählen, der auch meinen an mich selbst gestellten Ansprüchen gerecht werden würde.

Auf eine hingeschluderte Nummernrevue hatte ich keine große Lust. Dafür ist mir Leipzig für mich selbst zu wichtig.

Zeitgleich mit dieser Arbeit war ich privat ziemlich stark eingebunden in die Pflege und Betreuung meines Vaters, dessen vor einigen Jahren diagnostizierter Krebs sich auch nach den starken Chemotherapien nur noch schlimmer durch seinen Körper fraß.

Seine Kraft und sein Wille schwanden von Tag zu Tag und es war sehr erdrückend, meinen Vater so leiden zu sehen.

Mein Vater, den ich eigentlich immer als lebensfrohen Tausendsassa kannte und der für mich sowas wie ein echtes Leipziger Original darstellte: immer in der Stadt unterwegs, Hinz und Kunz kennend und grüßend, alles mit bissigem Humor kommentierend, über den Stadtfußball wetternd, Skat mit seinen Freunden spielend, sich als Großvater und in der Hausgemeinschaft meiner Schwester engagierend. Weihnachtsmann und Sheriff unserer Siedlung zwischen Stötteritz und Probstheida …

Durch ihn hatte ich erst mein Interesse an Stadtgeschichte entwickelt, seine Mundart-Übungen von Lene-Vogt-Klassikern klingeln immer noch in meinen Ohren, durch seine diversen Arbeitsplätze auf dem Wochenmarkt, als Abbruchunternehmer, auf der Liebertwolkwitzer Kippe, als Lochdaten-Programmierer im ehemaligen Baukombinat, als Hausmeister in der Kinderklinik oder als Lehrausbilder für Informatik hatten mich inspiriert, ebenso wie er jeden Menschen – oder besser: Bürger dieser Stadt als gleichwertig und mit Liebe betrachtete und seine jeweiligen Qualitäten erkannte und schätzte.

Unversehens hatte ich plötzlich den Grundriss meiner Story beisammen: Ich wollte die Geschichte Leipzigs mit den Schicksalen in dieser Stadt und mit dem Entstehen und Vergehen, mit dem Leben und Sterben in Leipzig erzählen, mit dem Wechsel der Generationen und der Liebe zum Alltäglichen.

Für mich fühlte sich das richtig an und ich schrieb in einer Nachtwache am Krankenbett meines Vaters einen ersten Entwurf, den ich meiner Familie, mit der ich meinen Vater pflegte, vorlegte, um mir die Erlaubnis zu holen, so privat werden zu dürfen in einem Trickfilm. Sie sagten, ich dürfte.

Während der Arbeit am Drehbuch verstarb mein Vater – sollte sich dieser unser Leipzig-Trickfilm aus welchen Gründen auch immer nicht realisieren lassen, so hat sich die Arbeit daran für mich dennoch als unschätzbar wertvoll erwiesen.

Schwarwel

Leipzig, den 28. Februar 2015